5.

Im Dorfe gab es inzwischen viel Gerede, das aller Orten darauf hinauslief: »Es sei was passiert und es stimme nicht mit den Hradscheks. Hradschek sei freilich ein feiner Vogel und Spaßmacher und könne Witzchen und Geschichten erzählen, aber er hab’ es hinter den Ohren, und was die Frau Hradschek angehe, die vor Vornehmheit nicht sprechen könne, so wisse jeder, stille Wasser seien tief. Kurzum, es sei beiden nicht recht zu traun und der Pohlsche werde wohl ganz woanders liegen als in der Oder.«

(…)

»Hradschek? Den kenn’ ich. Der muß ans Messer.«

(Theodor Fontane, ›Unterm Birnbaum‹)

 

 

Marco Kurzrock hatte vor dem Spiel gegen United Berlin mehr als schlecht geschlafen. Zuerst war ihm der Deal mit Schulz als Geschenk des Himmels erschienen, denn er wollte Ende dieses Jahres heiraten und brauchte jeden Pfennig, doch je länger er darüber nachdachte, desto größer wurden seine Bedenken. Zum einen war es gefährliche Körperverletzung, was er da vorhatte, und konnte ihn in den Knast zurückbringen, und zum anderen hatte ja Klütz vor nicht allzu langer Zeit die Rote Karte wegen eines üblen Fouls gesehen, war also durchaus in der Lage, zurückzuschlagen und ihn selbst schwer zu verletzen. So richtig aber war Kurzrock erst ins Grübeln geraten, als er in der BILD gelesen hatte, dass Schulz verschwunden sei. War es nur ein Unfall gewesen, war er abgetaucht, um der Steuerfahndung oder der russischen Mafia zu entgehen, war er ermordet worden, hatte man ihn entführt? Wie auch immer, es war sicherlich am klügsten, sagte sich Kurzrock, nicht mit diesem Schulz in Verbindung gebracht zu werden. Aber dessen 5.000 Mark hatte er bereits eingesackt und war auch nicht willens, sie wieder herzugeben. Die waren für das Schlafzimmer, das Vanessa sich ausgesucht hatte, fest eingeplant. Also musste er Klütz übel foulen, denn wenn Schulz noch lebte, würde er das in der Fußball-Woche lesen wollen. War er aber ermordet worden, gab es keinen Pfennig mehr, auch wenn Klütz auf dem Friedhof landen sollte. Also fasste Kurzrock den Entschluss, Klütz nur mäßig zu foulen, um sich vor Schulz rechtfertigen zu können, sollte der wirklich wieder auftauchen, aber auf keinen Fall zur finalen Attacke anzusetzen.

In der Kabine besprach der Trainer mit ihnen noch einmal die Strategie, mit der sie United besiegen wollten, und Kurzrock freute sich, dass er als Manndecker für Klütz vorgesehen war.

»Du hast die Nummer sechs, Marco, aber heute definieren wir das mal anders: Du weichst Klütz nicht von der Pelle, du hängst wie eine Klette an ihm, du stehst ihm ständig auf den Füßen. Ist das klar?«

»Ja, Trainer.«

Beim Auflaufen sah Kurzrock Vanessa auf der kleinen Tribüne sitzen. Auch das noch. Er hatte es nicht so gerne, wenn sie ihn beobachtete, denn beim Vergleich mit ihren Idolen aus der Nationalmannschaft schnitt er allzu schlecht ab und war nur ein Held von der traurigen Gestalt. Und wenn er deshalb seine mangelnden Künste durch übertriebene Härte ausgleichen wollte, fand sie das entsetzlich.

Nun denn … Gleich nach dem Anpfiff suchte Kurzrock die Nähe zu Klütz. Der schien ihn gar nicht wahrzunehmen. Diese Arroganz heizte Kurzrock richtig an. Dir Arschloch werd ich’s zeigen! Und bei der ersten Ballannahme fuhr er Klütz von hinten so in die Beine, dass dessen rechter Knöchel ordentlich was abbekam und Klütz wie ein gefällter Baum auf den Rasen stürzte. Ein Aufschrei, ein Pfiff des Schiedsrichters und die Gelbe Karte für Kurzrock. Prima, dachte der sich, das war der beste Nachweis für Schulz, dass er für sein Geld etwas getan hatte.

Klütz wurde behandelt, und als er aufstand, um weiterzumachen, trat er dicht an Kurzrock heran, um ihm etwas zuzuflüstern, was der Schiedsrichter nicht unbedingt hören musste: »Noch einen Tritt, und du kannst deine Knochen einzeln aufsammeln.«

Kurzrock hatte plötzlich Angst um seine Gesundheit, denn Klütz hatte ja Bundesliga gespielt und war mit allen Wassern gewaschen, und er als lumpiger Amateur hatte da überhaupt keine Chance. Also beschloss er, Klütz für den Rest des Spiels in Ruhe zu lassen.

Doch sie hatten keine Viertelstunde gespielt, da musste Kurzrock diese Entscheidung korrigieren, denn eben war Sandra Schulz auf der Tribüne erschienen, und das konnte nur bedeuten, dass sie im Auftrage ihres Mannes gekommen war, ihn zu beobachten und zu sehen, ob er Klütz wirklich in seine Einzelteile zerlegte. Er kannte sie, weil er oft Getränke in ihre Villa am Sandwerder geliefert hatte. Was blieb ihm also anderes übrig, als Klütz erneut zu attackieren.

Was folgte, war ein Duell der ganz besonderen Art. Kurzrock hatte sehr schnell gemerkt, dass Klütz ungemein unter Strom stand und nur auf einen geeigneten Moment wartete, um seinerseits zuzuschlagen. Das hieß, dass sein erster Schlag sozusagen tödlich sein musste, sonst war er selbst das Opfer. Aber wie zu einer Blutgrätsche oder zu einem Ellenbogencheck ansetzen, wenn der andere so etwas schon im Ansatz roch und der Attacke aus dem Wege ging? Klütz hinterherzulaufen und von hinten in die Beine zu grätschen, erwies sich als unmöglich, denn der andere war wesentlich schneller. Und bei hohen Bällen blieb er einfach stehen, gemäß der alten Devise von Weltklasseleuten, dass der Kopf zum Denken da sei und nicht für die Berührung mit dem Spielgerät.

Dann kam die 43. Minute, und es gab einen Eckball für United. Klütz wollte sich vornehm zurückhalten und weit vor der Strafraumgrenze abwarten, was bei dem Gedränge vor dem Tor herauskam, doch sein Trainer forderte ihn energisch auf, sich dorthin zu begeben, wo es wehtat.

Der Ball schwebte herein, genau auf den Kopf von Karsten Klütz gezielt, und Kurzrock war erfahren genug, die Flugbahn zu berechnen. Sein Gegenspieler stand günstiger als er, und schnellte Klütz im richtigen Augenblick in die Höhe, dann konnte er den Ball mit der Stirn in die rechte Torecke hämmern, wo mit Wumme ihr Kleinster den Pfosten deckte. Das musste unbedingt verhindert werden. Der Schiedsrichter stand schlecht, und so zögerte Kurzrock keinen Augenblick, Klütz ins Trikot zu greifen und ihn am Hochsteigen zu hindern.

Klütz hatte schon den Torschrei auf den Lippen, kam aber nicht richtig vom Boden weg und verfehlte den Ball um Zentimeter. Da rastete er aus, und krachend fuhr sein rechter Ellenbogen Kurzrock ins Gesicht.

Kurzrock musste mit einem Nasenbeinbruch ins Krankenhaus gebracht werden, Klütz bekam die Rote Karte gezeigt.

 

*

 

Sandra Schulz saß bei ihrer Mutter am Kaffeetisch und brachte keinen Bissen hinunter. Sie ekelte sich vor rohem Fleisch, ob nun Schinken oder Hackepeter, und beim Anblick frischer Blutwurst war sie nahe dran, sich zu erbrechen, denn schlagartig waren Bilder da, die sie nicht verscheuchen konnte: Wie der Kopf ihres Mannes unter einem Baseballschläger zerplatzte, wie Blut und Hirn herausspritzten, wie ein Messer ihm die Kehle durchtrennte, wie eine Kugel sein Herz durchschlug.

»Kind«, sagte ihre Mutter und legte den Arm um ihre Schultern. »Warte doch erst einmal ab, was …«

»Ach«, entgegnete sie nur und schluchzte nur heftiger.

»Sandra, warum so plötzlich …? Wie oft hast du denn deinen Mann zum Teufel gewünscht!«

»Ich erkenne mich ja selbst nicht wieder.«

Ihre Mutter war Buchhändlerin und hatte genügend Romane gelesen, um zu wissen, dass die menschliche Seele noch immer als unerforschter Kontinent anzusehen war. »Ich begreife bis heute nicht, warum dein Vater damals auf und davon ist, so nach dem Muster: ›Ich geh mal schnell Zigaretten holen.‹ Und alle hatten gedacht, wir würden eine glückliche Ehe führen.«

»Mutti, das ist doch ganz etwas anderes!«, rief Sandra Schulz. »Siegfried hat mich nicht verlassen, Siegfried ist entführt oder ermordet worden.«

»Wer sagt das? Es kann ebenso gut sein, dass er dich verlassen hat und dass das mit dem Porsche im Kanal nur ein Trick war. Solange man seine Leiche nicht gefunden hat!«

»Hör auf!«, schrie Sandra.

»Ich meine es doch nur gut mit dir.« Gesine Schiller ging zu ihrem Stuhl und setzte sich, um ihr Honigbrötchen zu Ende zu essen. Sie hätte ihre Tochter in Ruhe lassen sollen, ja, aber eine Sache war noch zu klären. »Wusste dein Mann von deinem Neuen?« Den Namen Karsten Klütz wollte sie nicht aussprechen, denn das klang ihr doch sehr plebejisch, und Fußballer hielt sie ausnahmslos für Hohlköpfe. Aber ihre Tochter schien ja eine Schwäche für wohlhabende Dumpfmeier zu haben, siehe Schulz.

»Ob Siegfried von Karsten wusste?«, wiederholte Sandra. »Ich glaube nicht.«

»Bloß gut, dass du nachweislich in Mailand warst«, sagte ihre Mutter. »Sonst könnte noch jemand auf die Idee kommen, dass du deinen Mann …«

Sandra Schulz verzog das Gesicht. »Man merkt, dass du keine Kriminalromane liest, Mutti.«

»Das ist unter meinem Niveau!«, rief diese. »Bei mir in der Buchhandlung steht so ’n Schund nicht herum.«

»Darum weiß deine Kundschaft auch immer weniger, wie es auf dieser Welt zugeht und was Spaß am Lesen ist. Die ganzen verschrobenen, verbitterten und vergeistigten Gestalten, die zu dir kommen, die …«

»Hörst du bitte auf!«, bat Gesine Schiller händeringend. »Ich lästere auch nicht über die halbseidenen Gestalten, mit denen dein Mann sich umgeben hat, noch darüber, dass dein neuer Liebhaber nicht mal einen Hauptschulabschluss geschafft hat.«

Sandra Schulz lachte. »Dafür verdient er als Fußballprofi in einem Monat mehr als eine Buchhändlerin im ganzen Jahr.«

»Als wäre das der geeignete Maßstab!«, rief ihre Mutter. »Als gäbe es nicht noch andere Werte.«

»Ja«, höhnte Sandra Schulz. »Dass man Schillers Gedichte im Kopf hat: ›Es füllt sich der Speicher mit köstlicher Habe, / Die Räume wachsen, es dehnt sich das Haus. / Und drinnen waltet / Die züchtige Hausfrau, / Die Mutter der Kinder …‹«

»Wenn ihr Kinder hättet, dann …«

»Mutter, Vater ist weggegangen, obwohl ich da war!«, rief Sandra Schulz. »Und Siegfried ist nicht freiwillig …«

»Vielleicht doch, wenn er von diesem Klütz erfahren hat.«

»Hat er aber nicht.«

»Gott, was du an dem bloß findest!«

»Das, was einen in bestimmten Situationen stöhnen lässt, Mutti, genau das. Und außerdem ist er gradlinig und aufrichtig.« Sandra Schulz stand auf. »Und genau deswegen treffe ich mich jetzt mit ihm. Aber herzlichen Dank für deine Hilfe und dein Einfühlungsvermögen.«

Damit küsste sie ihre Mutter und machte sich auf den Weg zu Karsten Klütz, der mit ihr eine Spritztour ins Märkische machen wollte. Da Gesine Schiller am Rüdesheimer Platz wohnte, hatten sie sich dort am Brunnen verabredet.

»Was, du bist noch nicht verhaftet?«, rief sie ihm zu.

Er wurde blass. »Mach keinen Quatsch!«

Sie erschrak. »Wieso, was ist denn?«

»Ach, nichts.«

Sie insistierte weiter. »Ich merke doch, dass du was hast …«

»Ja, ich humpele. Weil ich gestern fürchterlich gefoult worden bin.«

»Weich mir nicht aus. Was ist denn nun passiert?« Sie zog ihn ein wenig zur Seite, damit niemand mithören konnte.

»Was passiert ist? Eigentlich nichts, aber … Wie hätte ich das ahnen können? So viel Zufall gibt es doch gar nicht.«

»Im Leben schon, nur in Romanen nicht«, sagte Sandra Schulz. »Da streichen die Lektorinnen das raus.«

»Ja, aber bei mir …« Klütz hatte weiterhin Mühe, zur Sache zu kommen. »Ich suche ja schon lange ein Grundstück … Für uns beide.«

»Du bist ein Schatz!« Sie küsste ihn.

»Und weißt du was, da ruft mein Makler mich an, und sagt mir, dass er ein Schnäppchen für mich hat.«

Sandra Schulz ahnte noch immer nicht, worauf er hinauswollte. »Ja, und …?«

»Wir fahren raus und sehen uns das an … Und weißt du, wo?«

»Die Villa Lemm in Gatow?«

»Nein, in Frohnau, genau neben diesem komischen Restaurant da, dem ›à la world-carte‹.«

»Das darf doch nicht wahr sein!«, rief sie. »Das, was diesem Wiederschein gehört, dem Neffen von …?«

»Genau das.«

Sie versuchte, die Sache leicht zu nehmen. »Gott, das ist doch kein Grund, in Panik zu verfallen, Siegfried ist noch morgens um 5 Uhr gesehen worden, wie er in seinen Porsche geklettert und losgefahren ist. Da kann doch kein Verdacht auf dich fallen.«

»Nein, aber wenn die Leute von der Kripo erst mal herauskriegen, dass wir beide … Dann denken die doch automatisch, dass ich, um ihn aus dem Weg zu räumen …«

»Ach, Unsinn!« Sie nahm ihn tröstend in die Arme.

»Ich mach mir schon Sorgen«, sagte Klütz. »Weil ich gestern ’ne Rote Karte gekriegt habe, denken sicher alle, dass ich der zweite Rambo bin.«

Sandra Schulz überlegte einen Augenblick. »Pass mal auf, ich setze jetzt eine Belohnung von 25.000 Mark aus, Schulz hat’s ja, für – wie heißt das? – zweckdienliche Hinweise … auf seinen Aufenthaltsort, auf mögliche Täter. Dann brauchst du dir keine Sorgen mehr zu machen, dass du Ärger mit der Kripo bekommst.«

 

*

 

Mario Furmaniak und Professor Robert Schrobenhausen saßen im ›à la world-carte‹ und warteten auf ihren Wildlachs nach kanadischer Art.

Es war kein reiner Zufall, dass sie dieses Restaurant gewählt hatten, denn der Professor für Biologie wohnte ganz in der Nähe am Kreuzritterweg, das Ereignis war also kausal erklärbar. Dass er dort zu einem Haus gekommen war, lag an der Vorliebe seiner Eltern für den Berliner Norden.

Die beiden Männer stritten sich gern, und im Augenblick ging es darum, ob Furmaniak den Porsche im Oder-Havel-Kanal ganz und gar zufällig entdeckt hatte oder ob dahinter eine Art göttliches Drehbuch steckte.

Furmaniak vertrat mit Verve die erste Position. »Ich bin an diesem Tage zufällig eine halbe Stunde früher aufgestanden, weil ich einen Krampf im rechten Bein hatte, was mir alle zwei Jahre einmal widerfährt. Dann bin ich aber doch erst eine S-Bahn später gefahren, weil ich zuvor meinen hinteren Reifen aufpumpen musste. Wer sollte vorher wissen, dass er gerade an diesem Tage undicht geworden war, welcher Himmelscomputer? Dies alles und Dutzende anderer plötzlicher Umstände haben dazu beigetragen, dass ich den Porsche im Wasser als Erster entdeckt habe.«

»So viele Zufälle kann es gar nicht geben!«, rief Professor Schrobenhausen. »Das zeigt doch nur, dass unsere Welt im Innersten deterministisch ist: Alles ist kausal eindeutig vorherbestimmt. Sie sind vom Schicksal oder von Gott, ganz wie Sie wollen, vorgesehen gewesen – ich will nicht sagen: auserwählt worden –, den Wagen im Kanal zu entdecken, Sie und kein anderer. Sie interessieren sich für Fische, Sie kommen zu mir, weil ich der Fachmann dafür bin, wir kommen auf die Idee, den Fischbesatz brandenburgischer Kanäle zu erforschen, Sie wollen mit dem Oder-Havel-Kanal beginnen … Das ist doch ganz klar ersichtlich, dass alles ineinandergreift, nicht anders als bei einem Präzisionsuhrwerk.«

Furmaniak lächelte. »Na schön, ich will Ihnen ein Stückchen entgegenkommen und es einmal so formulieren: Es gibt keinen Zufall, sondern lediglich eine Menge unbestimmter Faktoren, die wir nicht beeinflussen können.«

Schrobenhausen hatte ein wenig den Faden verloren. »Ja, alles hängt mit allem zusammen, und eine Zeit lang habe ich ja der Chaostheorie meine Gunst geschenkt. Sie kennen den Schmetterlingseffekt, der bei komplexen Systemen auftritt, die ein deterministisches, chaotisches Verhalten zeigen. Übrigens: Haben Sie einmal etwas von Douglas Adams gehört?«

Furmaniak musste passen. »Nein.«

»Das darf doch nicht wahr sein!«, rief Schrobenhausen und hatte ganz vergessen, dass der Schmetterlingseffekt und der erwähnte Autor nichts mit seiner Biologie zu tun hatten. »Douglas Adams hat ›Per Anhalter durch die Galaxis‹ geschrieben – das muss ein gebildeter Mensch doch kennen. Er verwendet das Motiv des Schmetterlingseffekts häufig als Beschreibung für sehr unwahrscheinliche Ereignisse in einem großen System wie dem Universum.«

Furmaniak nickte grinsend. »Dass ausgerechnet ich den Porsche von Schulz gefunden habe …?«

»So ist es.« Schrobenhausen freute sich über seinen Erfolg und geriet weiter ins Plaudern. »Es ist schon ein komisches Gefühl, möglicherweise an demselben Tisch zu sitzen, an dem dieser verschwundene Autohändler gesessen hat, der Schulz. Sie finden seinen Porsche im Oder-Havel-Kanal, wir sitzen hier in dem Restaurant, vor dem er in seinen Wagen gestiegen ist, bevor er … Warum ist das so, warum hängt das alles miteinander zusammen? Wäre es ein Roman, würde ich sagen: Der Autor hat das alles so gefügt. Ist es aber das wahre Leben, so bleibt doch nur eine Schlussfolgerung: Ein unbegreiflich großer Regisseur muss da am Werke sein, einer, den wir als Gott bezeichnen. Ah, da kommt ja Pfarrer Eckel, hallo! Na, wenn das keine Bestätigung von oben ist, dass ich recht habe und nicht Sie!« Er winkte dem Geistlichen zu, bevor er begann, den Kriminalisten zu spielen und auch in dieser Profession seine Fähigkeiten zu offenbaren. »Dass Schulz verschwindet, steht längst im Drehbuch seines Lebens, also müssen wir nur in Erfahrung bringen, mit wem er in den Szenen zuvor in Interaktionen getreten ist.«

»Wenn es denn eine Beziehungstat war«, schränkte Furmaniak ein. »Es könnte aber auch sein, dass er irgendwo zwischen Frohnau und Oranienburg angehalten hat, um jemanden mitzunehmen … Per Anhalter durch die Galaxis Brandenburg … Nein, ich will Sie nicht …!«

»Überhaupt nicht, denn die Anhalterthese ist ja hochinteressant …«

Ihr Wildlachs kam, und Professor Schrobenhausen lieferte wieder einmal den Beweis dafür, dass ihn seine Studenten nicht zu Unrecht ›Verschrobenhausen‹ nannten, denn mit einer kleinen Lupe, die er stets in seiner Jackentasche trug, suchte er, bevor er den ersten Bissen zum Munde führte, erst einmal nach Parasiten. »Nicht, dass ich um meine Gesundheit Angst hätte, aber ich bin nun einmal neugierig …«

Matti Kemijärvi kannte die kleinen Macken des Biologen, und da Schrobenhausen Stammgast im ›à la world-carte‹ war, stellte er sich immer so, dass die anderen Gäste den Einsatz der Lupe nicht mitbekamen.

»Nichts«, sagte Schrobenhausen bedauernd, steckte seine Lupe wieder ein und begann, sein Forschungsobjekt zu verspeisen. »Da das hier als Arbeitsessen definiert ist, sollten wir auch gleich mit der Arbeit beginnen. Es wäre ja schade, habe ich mir gedacht, lediglich die Arten zu zählen, die in den brandenburgischen Kanälen noch – oder wieder – anzutreffen sind, wir könnten unsere Fische gleichzeitig auch auf ganz bestimmte Krankheiten untersuchen. Legen Sie sich doch gleich einmal eine Checkliste an, Furmaniak. Ja, nehmen Sie die Serviette, wenn Sie kein Papier bei sich haben.«

»Die ist leider aus Stoff …«

»Dann den Bierdeckel«, schlug Schrobenhausen vor.

Wieder hatte Furmaniak kein Glück. »Die sind hier so vornehm, die haben keine.«

»Gut, dann gebe ich Ihnen ein Tempotaschentuch.« Aber auch das scheiterte, denn Schrobenhausen hatte kein sauberes mehr. »Müssen Sie die Fakten eben so im Kopf behalten. Legen Sie sich doch einmal ein Notebook zu.«

»Ich habe schon eins.« Furmaniak griff in den Beutel, der neben ihm auf dem freien Stuhl lag, und zog es hervor.

Schrobenhausen guckte ein wenig ungnädig. »Das hätten Sie auch gleich sagen können.«

Furmaniak grinste. »Ich wollte Sie nicht unterbrechen, Sie hatten so wunderbare Vorschläge. Außerdem kann man schlecht mit Messer und Gabel essen und gleichzeitig …«

»Ich verstehe … Also bleibt doch nur der Kopf zum Speichern der Daten.« Schrobenhausen war nicht zu bremsen. »Also, wonach sollten wir bei Süßwasserfischen immer Ausschau halten? Herr Furmaniak, bitte.«

»Ist das jetzt eine Prüfung?«

»Das ganze Leben ist eine Prüfung.«

»Gut … Ich möchte nur nicht an einer Gräte ersticken«, murmelte Furmaniak.

»Besser eine Gräte im Hals, als eine Grete am Hals«, sagte Schrobenhausen, denn er war gerade dabei, sich von seiner Ehefrau Margarete, genannt Grete, scheiden zu lassen. »Aber lassen wir uns nicht ablenken. Wir achten zuerst auf die wattebauschartigen, grauweißen Verpilzungen auf der Haut unserer Fische … Das sind Pilze der Gattung?«

Furmaniak musste einen Augenblick überlegen, kam dann aber darauf. »Saprolegnia.«

»Richtig! Und wie bekämpft man sie?«

»Mit Malachitgrün.«

»Sehr schön, Herr Furmaniak.« Da sich Schrobenhausen aber am liebsten selbst reden hörte, brach er die Prüfung ab und dozierte wieder. »Wir schauen des Weiteren nach der Kiemenfäule, nach der Taumelkrankheit, die vom Ichthysoporidium hoferi hervorgerufen wird, nach der Hexamita-Krankheit, nach Sporentierchen, nach Trematoden und vor allem nach Band- und Fadenwürmern. Sie wissen ja, dass ich gerade etwas über die Larven der Gattung Triaenophorus schreibe. Für diese Würmer sind Kleinkrebse der Gattung Cyclops die ersten Zwischenwirte, Salmoniden und Barsche die zweiten, während der Hecht Endwirt ist und wir dann die schönsten Hechtbandwürmer bewundern dürfen. Aber auch nach Piscicola geometra könnten wir Ausschau halten, nach Fischegeln also, die kann man schon mit bloßem Auge erkennen. Nicht außer Acht lassen sollten wir auch die fischparasitären Krebse …«

Bis dahin hatte Mario Furmaniak aufmerksam zugehört, nun aber wurde er abgelenkt, denn im Eingang des ›à la world-carte‹ erschien eine Frau, die ihn von ihrer Statur und Kraft her an eine Speerwerferin erinnerte, deren Gesicht aber leer und abweisend war, die so aussah, als hätte sie gerade einen großen Wettkampf verloren.

»Die kommt mir irgendwie bekannt vor«, murmelte Furmaniak.

Schrobenhausen drehte sich um und lachte. »Kein Wunder, vom Bildschirm oder vom Theater her.«

»Wer ist denn das?«

»Na, ich bitte Sie: die Angela Wiederschein.«

»Wer ist Angela Wiederschein?«, fragte Furmaniak.

»1) eine bekannte Schauspielerin und 2) die Ehefrau des Wirtes hier.«

»Ah, ja …«

Angela Wiederschein wartete, bis ihr der Ober einen Leinenbeutel gebracht hatte, dann verschwand sie wieder.

»War ja nur ein kurzer Auftritt«, sagte Schrobenhausen. »Schade. Sie müssen sie mal spielen sehen. Vielleicht wiederholen sie mal wieder ein Fernsehspiel mit ihr.«

»Zufällig«, sagte Furmaniak.

»Herr …!« Schrobenhausen hob warnend seinen Zeigefinger. »Man verspottet seine Professoren nicht ungestraft – und Sie haben noch das Rigorosum vor sich. Also, weiter im Text … Wo waren wir stehen geblieben?«

»Bei den fischparasitären Krebsen.«

»Richtig. Kommen wir also zur Gattung Ergasilus sieboldi. Die weiblichen Tiere werden zwei Millimeter groß und verankern sich mit ihrem zweiten Antennenpaar fest im Kiemengewebe des Fisches. Befallen werden vor allem Schleie, Hechte, Barsche, gelegentlich aber auch Karpfen und Forellen …«

 

*

 

Gunnar Schneeganß verfluchte Sandra Schulz, denn seit sie ihre Belohnung ausgesetzt hatte, konnten sie sich bei der Kripo vor Hinweisen gar nicht mehr retten. Andauernd klingelte das Telefon oder ratterte ihr Faxgerät, auch E-Mails gingen ein.

»Überschrift: Alle haben Schulz gesehen«, sagte Hinz.

»Dass es Tausende gibt, die Schulz heißen, wusste ich ja«, sagte Schneeganß. »Aber dass die sich alle so furchtbar ähnlich sehen, muss mir entgangen sein.«

Überall war Siegfried Schulz gesehen worden, oft zur selben Zeit in weit auseinanderliegenden Orten wie Stockholm und Las Palmas auf der Insel Lanzarote. Es war ja nicht strafbar, sich geirrt zu haben, und vielleicht hatte man Fortuna in diesem Leben mal auf seiner Seite. Auch wenn der Schulz, den man gesehen hatte, mit dem Schulz, dessen Foto in den Zeitungen zu finden war, weniger Ähnlichkeit hatte als der Papst mit Udo Jürgens, so war ja möglich, dass sich Schulz einer Gesichtsoperation unterzogen hatte.

»Idioten!«, brummte Schneeganß. »Der Schulz ist nicht der Täter, der ist doch das Opfer!«

»Weiß man’s?«, fragte Hinz. »Bei einem Suizid wäre er beides.«

Schneeganß reagierte ungehalten. »Nichts spricht für einen Selbstmord, kein Abschiedsbrief, keine Bemerkung zu seiner Frau oder wem sonst immer. Ich war und bin der Meinung, dass wir es mit einer Entführung zu tun haben.«

Hinz verharrte in seiner Standby-Schaltung, wozu sich aufregen, so verbrauchte man nur unnötige Energie. »Mit Verlaub, Herr Kollege, aber dann hätte wohl langsam eine Lösegeldforderung eingehen müssen oder wenigstens eine kleine Nachricht: ›Hallo, wir haben ihn.‹ Selbst wenn er ihnen beim Kidnapping gestorben sein sollte.«

»Das ist doch kein Argument«, sagte Schneeganß und warf einen Blick zu Hinz hinüber, der sagen sollte, dass der Schwachsinn auch vor ihm nicht haltmachte. »Ist dir schon mal aufgefallen, dass Kidnapper der lieben Ehefrau oder einer anderen Beziehungsperson zuflüstern: ›Keine Polizei, sonst …!‹? Vielleicht verhandeln die längst miteinander – und wir wissen von nichts.«

»Meinetwegen …« Hinz stritt sich grundsätzlich nicht, weil heftiger Streit der Gesundheit Abbruch tat: Der Blutdruck erhöhte sich, Magengeschwüre drohten, Krebszellen konnten aktiviert werden.

Wieder klingelte das Telefon, und da sie ausgemacht hatten, abwechselnd abzunehmen, musste sich Schneeganß dazu durchringen, den Hörer von der Gabel zu nehmen und ans Ohr zu pressen. Er rasselte sein Verslein herunter.

»Ich habe den Schulz gesehen«, flötete eine Dame. »Hier bei uns im Lust-Center. Wollen Sie nicht schnell vorbeikommen und …«

»Und schon, aber nicht Schulz erwischen«, sagte Schneeganß. »Du hältst mich von der Arbeit ab, Simona.«

»Silke, Mensch! Ich kratz’ dir die Augen aus!«

»Entschuldigung, aber der Stress hier!« Schneeganß feixte. Solche kleinen Irrtümer gehörten zu seinem Programm. An seinem internen Werbespruch ›Mich im Bett gehabt zu haben, krönt das Leben jeder Frau!‹ war seiner Ansicht nach schon ein Körnchen Wahrheit. Er verabredete sich mit Silke für den nächsten Abend und ging wieder daran, die Liste derer, die wegen Schulz angerufen hatten, zusammenzustreichen. Ein Mindestmaß an Plausibilität musste schon sein.

Wieder tat das Telefon seine Pflicht, und diesmal musste sich Hinz bequemen, den Hörer abzunehmen. Er griff nach ihm so angeekelt, als würde er eine glibberige Schlange anfassen müssen. Doch nach dem ersten Wortwechsel hellte sich sein Gesicht schlagartig auf.

»Herr Schulz, das darf doch nicht wahr sein?«, rief er.

»Doch ich stehe hier vor dem U-Bahnhof Viktoria-Luise-Platz …«

»Dann sind Sie gar nicht …?«

»Nein, ich bin nicht in den Zug nach Nollendorfplatz eingestiegen, sondern dem Schulz hinterher.«

Hinz fasste sich an den Kopf. »Ich denke, Sie selber sind der Siegfried Schulz …?«

»Nein, ich bin der Udo Schulz, habe aber den Siegfried Schulz eben gesehen. Hundertprozentig. Er ist hier in ein Restaurant rein.«

»Gut, warten Sie, wir schicken die Kollegen vorbei.«

Hinz veranlasste das Notwendige. Zehn Minuten später kam die Nachricht der Kollegen, dass es sich bei der angegebenen Person nicht um einen Siegfried Schulz handele, sondern um einen Gerhard Brückmann, eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Gesuchten aber durchaus nicht abzustreiten sei, sodass der Tatbestand des groben Unfugs nicht vorläge.

»Wenn das ein Film wäre, könnte er heißen: ›Wie produziere ich Doppelgänger am laufenden Band‹«, sagte Schneeganß. »Das hat diese Sandra Schulz ganz prima hingekriegt, Hut ab, schöne Reklame für sie.«

Es klopfte, und Schneeganß tat so, als würde er seine Waffe hochreißen und den ungebetenen Gast nach dem »Herein!« sofort erschießen wollen.

»Ja, bitte, wenn’s denn unbedingt sein muss.«

Herein trat ein Typ von Mensch, der bei Schneeganß sowieso sofort auf der Abschussliste stand: Brillenträger, Schöngeist, Akademiker, Lyrikleser, Arschloch.

»Mein Name ist Mario Furmaniak«, begann der Eintretende.

»Und Sie kommen wegen Schulz?«, fragte Schneeganß.

»Ja …« Furmaniak war baff. »Woher wissen Sie das?«

Schneeganß gab sich gelangweilt. »Ich habe den Crashkurs im Gedankenscreening gerade mit einer Eins bestanden.«

»Gratuliere.«

Schneeganß lehnte sich zurück. »Keine Ursache, war ja kein Kunststück, denn heute kommen alle wegen Schulz.«

»Ich bin aber nicht alle«, sagte Furmaniak. »Und zwar deshalb, weil … Sie müssten sich eigentlich an mich erinnern können …«

»Warten Sie …« Und richtig, es machte Klick bei Schneeganß. »Sie sind der junge Mann, der den Porsche im Kanal entdeckt hat.«

»Genau.«

»Ich hab Sie aber nur aus der Ferne da stehen sehen, mit Ihrem Angelzeug«, suchte sich Schneeganß zu rehabilitieren. »Gesprochen haben wir ja nicht miteinander …«

»Nein, das war Ihr Kollege Mittmann.«

»Schön …« Schneeganß war nun doch gespannt, was dieser Angler noch gesehen haben konnte. »Sie haben also nicht nur den Porsche im Wasser gefunden, sondern auch den dazugehörigen Herrn Schulz …?«

Furmaniak staunte. »Wieso?«

»Weil Sie gesagt haben, Sie seien wegen Schulz gekommen …?«

»Nur indirekt«, erwiderte Furmaniak. »Ich war nämlich gestern Abend essen im ›à la world-carte‹ … Das ist da, wo Schulz …«

»Ich weiß!«, rief Schneeganß.

Furmaniak ließ sich nicht beirren. »Und da ist mir die Frau des Wirts über den Weg gelaufen, Angela Wiederschein, früher mal Schauspielerin.«

Hinz hatte quasi mit offenen Augen geschlafen und erwachte erst wieder, als das Wort Wirtin fiel. »Frau Wirtin hatt’ auch einen Popen«, murmelte er. »Und der hatt’ im Hoden Isotopen …«

»Gisbert«, sagte Schneeganß. »Geh doch endlich nach Hause.« Und zu Furmaniak gewandt fuhr er fort: »Mein Kollege hat nämlich eine Sommergrippe und über 39 Grad Fieber.«

»Nein«, protestierte Hinz. »Das sind nur die Tabletten gegen meine Allergie, die mich so müde machen. Gräser, Beifuß, Roggen – das vertrag ich alles nicht. Aber was war denn nun mit dieser Frau Wirtin?«

Furmaniak war etwas irritiert, denn das Organisationsklima in einer Mordkommission hatte er sich nicht ganz so locker vorgestellt.

»Ja, nun …« So schnell fand er den Anschluss nicht mehr. »Ich bin mir sicher, dass ich sie schon vorher einmal gesehen habe, also die Frau Wiederschein, Angela Wiederschein.«

»Weil Sie da öfter essen gehen?«, fragte Hinz.

»Nein, ich war zum ersten Mal dort. Mein Professor hatte mich eingeladen. Ich selbst würde nie so viel Geld ausgeben. Also … Zum ersten Mal habe ich Frau Wiederschein gesehen, als ich mit dem Rad am Oder-Havel-Kanal entlanggefahren bin, kurz bevor ich den Porsche entdeckt habe. Da ist sie mir entgegengekommen … als Joggerin.«

»Was Sie nicht sagen!«, rief Schneeganß. »Und wie sicher sind Sie sich da?«

»Ziemlich sicher. Sie hatte zwar eine Mütze auf, tief ins Gesicht gezogen, und einen dicken Schal um, aber … Es ist nun mal ein markantes Gesicht. Die Nase, so ein dicker Zinken … wie bei der Steffi Graf.«

»Hm …« Schneeganß wollte Bedenkzeit gewinnen. »Dann danken wir Ihnen erst einmal sehr herzlich, Herr Furmaniak, nehmen das alles zu Protokoll und sehen dann weiter. Sie wahren bitte Stillschweigen gegenüber allen anderen und … hier ist mein Kärtchen, falls Ihnen noch etwas einfallen sollte. Wir hören auf alle Fälle voneinander.«

Schneeganß brachte Furmaniak höchstpersönlich zur Tür. Dann ließ er sich in seinen Drehsessel fallen und sah den Kollegen an. »Na, Gisbert, was sagst du dazu?«

»Hm …« Nach diesem ausführlichen Kommentar war Hinz ziemlich erschöpft und musste, Dranginkontinenz befürchtend, erst einmal dringend auf die Toilette. »Ich glaube, meine Prostata …«

»Ich weiß, unter Krebs tust du’s nicht.«

Als Hinz zurückkam, sah er sehr erleichtert aus. »Du, ich weiß, was da abgelaufen ist …«

»Was soll auf ’ner Toilette schon ablaufen?«

»Nein, in Frohnau – beziehungsweise am Kanal …« Hinz machte es spannend. »Diese Angela Wiederschein ist doch Schauspielerin …«

»Woher weißt du das?«, fragte Schneeganß.

»Weil ich andauernd beim Arzt bin«, antwortete Hinz.

Schneeganß konnte ihm nicht folgen. »Und da war sie auch …?«

»Nein, da lese ich im Wartezimmer immer alles, was herumliegt – und da ist öfter mal was drin über sie. Ihr Kind ist gestorben, sie kann nicht mehr vor der Kamera stehen, sie ist mit den Nerven am Ende.«

»Und was hat das mit Schulz zu tun?«, wollte Schneeganß wissen.

»Sie hat ihn ermordet und sich mit seinen Sachen in den Porsche gesetzt und den dann oben in den Kanal gefahren.«

Schneeganß sah den Kollegen ganz entgeistert an. »Sag mal, Gisbert, du warst ja bereits bei allen möglichen Ärzten – auch beim Psychiater?«

»Ja, wegen meiner Schlafstörungen damals«, Hinz blieb ganz ernsthaft. »Aber gefunden hat der nichts, keine Traumatisierungen und so.«

»Na schön«, sagte Schneeganß. »Und warum sollte Angela Wiederschein den Onkel ihres Mannes umgebracht haben?«

»Weil sie ’ne Menge erben könnten.«

Schneeganß schüttelte den Kopf. »Da ist doch erst einmal Schulz’ Frau dran.«

Hinz suchte nach anderen möglichen Motiven. »Vielleicht hat sie ihn geliebt – und er hat sie abgewiesen. Vielleicht wollte sie mit seinem Geld eine neue Karriere starten …?«

»Ach komm!«, rief Schneeganß. »Da lacht dich jeder Untersuchungsrichter aus, wenn du ihm das erzählst.«

Hinz war bereit, viel Kraft in diesen Disput zu investieren. »Dann erkläre du mir mal, warum dieser Furmaniak die Wiederschein morgens am Kanal gesehen hat?«

Schneeganß winkte ab. »Ach, das ist doch nur einer dieser Spinner, der sich die Belohnung verdienen will.«

Hinz lief weiterhin zur Hochform auf. »Nein, er hat ja – im Gegensatz zu den anderen – nicht Schulz, sondern Angela Wiederschein gesehen.«

»Vielleicht ist sie morgens mit Schulz losgefahren und oben am Kanal ausgestiegen, um das Stück zurückzujoggen«, sagte Schneeganß.

Hinz trat an die Landkarte, die an der Wand hing und Berlin und Umgebung wiedergab. »Ich überschlage das mal … Malzer Schleuse bis S-Bahnhof Frohnau … Das sind über 20 Kilometer, ein halber Marathon, das läuft man nicht mal so eben am Morgen.«

»Na schön, ist sie nicht gejoggt«, sagte Schneeganß, sichtlich genervt.

»Kann sie auch gar nicht, sonst hätte sie ja jemand mit Schulz im Wagen sitzen sehen.«

Schneeganß wurde immer ungehaltener. »Mann, Gisbert, deine Verkleidungsthese ist wirklich absurd.«

»Ist sie nicht. Sie fährt als Schulz verkleidet zum Oder-Havel-Kanal, versenkt den Wagen dort und kehrt als Joggerin nach Frohnau zurück. Sie braucht ja nur bis zum S-Bahnhof Oranienburg zu laufen, das sind nicht ganz sieben Kilometer, das schafft sie mühelos, und dann fährt sie mit der S-Bahn zurück nach Frohnau.«

»Deine Fantasie möchte ich haben!«, rief Schneeganß.

»Vielleicht hat auch ihr Mann seinen Onkel umgebracht«, sagte Hinz. »Und sie hat ihm nur geholfen, die Leiche zu entsorgen …?«

»Und wo hat sie die Leiche entsorgt?«

»Na, die wird im oder am Oder-Havel-Kanal liegen!«, rief Hinz.

Schneeganß rang die Hände. »Die Brandenburger haben doch mit ihren Suchhunden nicht das Geringste gefunden!«

»Na ja, Brandenburger … Wenn wir das übernommen hätten, dann …«

»Ach!« Schneeganß stand auf. »Komm, wir fahren nach Frohnau und sprechen mit deiner Täterin. Und sieh dir unterwegs schon mal deine neue Unterkunft an.«

»Wieso, ich will doch gar nicht umziehen?«

»Doch, in die Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik.«

In einer Dreiviertelstunde waren sie in Frohnau und fanden Angela Wiederschein im Garten des ›à la world-carte‹, wie sie unter dem Kirschbaum saß und Eduard Mörike las. Matti Kemijärvi hatte die Polizisten hingeführt.

»Die beiden Herren möchten Sie wegen Ihres verstorbenen Onkels sprechen. Herr Schneeganß, Herr Hinz von der Kripo Berlin …«

Angela Wiederschein sah auf und hatte offenbar Mühe, so abrupt zu realisieren, dass es nun womöglich um Sein oder Nichtsein ging. Sie versuchte dadurch Zeit zu gewinnen, dass sie beim schnellen Aufstehen ihren Stuhl umriss und sich erst bücken musste, um ihn wieder aufzuheben. Dabei entglitt ihr der Gedichtband und sorgte dafür, dass ihr halbvolles Seltersglas, das im Gras gestanden hatte, umfiel. So vergingen die Sekunden.

Schneeganß und Hinz hatten nicht die Antennen, dies alles in seiner tieferen Bedeutung aufzufangen. Nach einigen einleitenden Floskeln kamen sie schnell zum Eigentlichen.

»Es tut mir leid, Frau Wiederschein«, sagte Hinz. »Ich bewundere Sie als Schauspielerin, aber wir müssen eben, wie es unsere Pflicht ist, jedem Hinweis nachgehen …«

»Ja, und?«, fragte Angela Wiederschein.

»Jemand will Sie am Morgen des 19. Juni oben am Oder-Havel-Kanal beim Joggen beobachtet haben, kurz nachdem der Porsche von Siegfried Schulz im Kanal gelandet ist.«

Angela Wiederschein lachte so laut, dass Carola Laubach nebenan böse guckte. »Wie denn? Wie heißt das bei den Esoterikern: Bilokation, dass man zur selben Zeit an zwei verschiedenen Orten sein kann. Nein, im Ernst: Ich habe hier oben im Haus im Bett gelegen, und tief und fest geschlafen. Ich bin ja erst kurz nach Mitternacht von meiner Theatergruppe zurückgekommen und war völlig fertig. Fragen Sie meinen Mann. Freddie und Gudrun werden das auch bestätigen können.«

Die beiden Angestellten zögerten keinen Augenblick, dies zu bezeugen, und als Schneeganß und Hinz wieder im Auto saßen, fühlten sie sich so wie nach einer Hertha-Niederlage im Olympiastadion.

»Das macht mir alles keinen Spaß mehr«, murrte Schneeganß.

»Wir werden ja auch nicht dafür bezahlt, bei der Arbeit Spaß zu haben«, sagte Hinz.

 

*

 

Carola Laubach war der geborene Misanthrop. Sie wusste das auch, und immer wieder gab es Phasen in ihrem Leben, in denen sie versuchte, dagegen anzugehen. Wie jetzt, als Siegfried Schulz verschwunden war – und sie gesehen hatte, wie ihr Nachbar des Nachts etwas in seinem Garten vergraben hatte … Eine Leiche vielleicht? Wenn das nun Schulz gewesen war, zuvor ermordet von Wiederschein …? Mit oder ohne Wissen seiner Frau. Möglich war in diesen Zeiten alles. Aber man hatte Schulz am frühen Morgen in seinen Porsche steigen sehen – wie das, wenn er vorher ermordet und bei Wiederschein unterm Kirschbaum verscharrt worden war? Eine Frage, auf die sie keine Antwort wusste. Das hinderte sie daran, zur Polizei zu laufen, denn vielleicht war es nicht gut, sich die Wiederscheins noch mehr zu Feinden zu machen.

Schulz war und blieb verschwunden – und wenn er nun doch bei Wiederschein drüben unterm Kirschbaum lag …? Aber er war am nächsten Morgen fortgefahren. Das ließ Carola Laubach nicht los, und es arbeitete in ihr, Tag und Nacht. Immer wieder dasselbe, wie früher eine Schallplatte, die einen Sprung hatte. Erkläret mir, König Örindur, / Diesen Zwiespalt der Natur. Das ging ihr immer wieder durch den Kopf, aber auch Goethes: Wir sind so klug, / und dennoch spukt’s in Tegel. Angenommen, drüben hatten sie ihren Onkel umgebracht, aus welchen Gründen auch immer, und Wiederschein hatte die Leiche bei sich im Garten vergraben, wie konnten ihn dann Leute wie Pfarrer Eckel, die über jeden Verdacht erhaben waren, am Morgen noch höchst lebendig gesehen haben? Vielleicht hatten sie einen Doppelgänger engagiert …? Das erschien Carola Laubach die wahrscheinlichste Lösung zu sein. Es gab so viele arme Teufel in der Stadt, auch unter Schauspielern, die alles taten, wenn man ihnen 5.000 Mark in die Hand drückte. Dann hatte Wiederschein also den perfekten Mord begangen. Glaubte er jedenfalls … Es wäre einer gewesen, wenn sie ihn nicht beim Graben gesehen hätte.

Lass die Toten ruhen, misch dich da nicht ein! Das war die eine Stimme in ihr, aber da war auch noch eine andere – und die befahl ihr: Melde dich bei der Polizei und lass sie nachsehen, ob Schulz drüben unterm Kirschbaum liegt.

Und vielleicht hätte sie bis ans Ende ihrer Tage geschwiegen, wenn ihr nicht beim Spazierengehen auf den Brachen zwischen Frohnau und Stolpe auf Höhe des Pechpfuhls Axel Siebenhaar über den Weg gelaufen wäre, ihr Dorfgendarm, wie sie ihn nannte. Da fiel ihr sofort wieder ein, was Schiller den Marquis im ›Don Carlos‹ sagen ließ: Den Zufall gibt die Vorsehung – zum Zwecke / Muß ihn der Mensch gestalten.

»Na, heute ohne Uniform? Als Zivilfahnder also …?«

Siebenhaar lachte. »Nicht hier im Brandenburgischen. Ich gehe schlicht und einfach als Privatmann spazieren.«

Carola Laubach tat geheimnisvoll. »Dann kann ich Ihnen also gar nicht erzählen, was ich Ihnen erzählen wollte …?«

»Worum geht es denn?«

»Um diesen Wiederschein.«

Siebenhaar horchte auf. »Um den vom Restaurant da?«

»Ja.«

»Was ist mit dem?«, fragte Siebenhaar.

»Dessen Onkel ist doch spurlos verschwunden, dieser Autohändler …«

»Siegfried Schulz, ich weiß. Haben Sie etwa eine Ahnung, wo der …?«

»Ja …« Carola Laubach machte eine kleine Pause, um die Wirkung ihrer Worte zu erhöhen. »Ich vermute, dass er bei Wiederschein unterm Kirschbaum liegt.«

»Wie …?« Siebenhaar konnte das nicht einordnen.

Carola Laubach musste erst abwarten, bis eine radelnde Wandergruppe vorüber war. »Ich habe Wiederschein in der Mordnacht gesehen, wie er in seinem Garten etwas vergraben hat.«

»Mordnacht?«, fragte Siebenhaar. »Welche Mordnacht? Es steht doch noch gar nicht fest, dass Schulz einer Bluttat zum Opfer gefallen ist.«

»Nein, aber … Alles sucht nach seiner Leiche; ich weiß, wo sie liegt.«

Siebenhaar hatte Mühe, sich nicht an den Kopf zu fassen. »Aber, liebe gute Frau Laubach, Schulz ist am Morgen nach Ihrer angeblichen Mordnacht gesehen worden, wie er in seinen Porsche gestiegen und abgefahren ist. Wie soll ihn Wiederschein da vergraben haben?«

»Weggefahren ist ja nicht Schulz selbst, sondern ein Doppelgänger.«

»Im Film gibt’s das, aber nicht im wirklichen Leben«, erwiderte Siebenhaar.

»Im wirklichen Leben ist Hape Kerkeling für die holländische Königin gehalten worden«, hielt ihm Carola Laubach entgegen.

»Bitte, Frau Laubach, lassen wir’s lieber«, sagte Siebenhaar. »Ich hab’s nicht so gerne, ausgelacht zu werden. Andererseits …« Wiederschein gehörte ja zu den Menschen, die er hasste.

 

*

 

Es hatte sich in Frohnau in Windeseile herumgesprochen: »Wiederschein hat den Schulz umgebracht und bei sich im Garten vergraben!« Auch in einer bevorzugten Wohngegend mit Menschen der gehobenen Stände war die Gier nach Neuem groß, und so strömten alle, die nichts Dringendes zu tun hatten, Schulkinder und Hundebesitzer an der Spitze, zum ›à la world-carte‹, um zuzusehen, wie die Leiche ausgebuddelt und im Zinksarg weggeschafft wurde. Sicher, man kannte das aus dem Kino und aus dem Fernsehen. Aber live war eben live und durch nichts zu ersetzen.

Die Polizei war zwar mit einem Mannschaftswagen angerückt, aber Siebenhaar tat alles, um strikte Absperrmaßnahmen zu verhindern, denn zum einen wollte er seinen Frohnauern die Show nicht verderben und zum anderen gönnte er es diesem Arschloch Wiederschein von ganzem Herzen, so an den Pranger gestellt zu werden. Wenn auch die Straße vor dem Restaurant abgesperrt war, so bot doch das Baugrundstück nebenan allen Gaffern genügend Platz, und wer dort keinen Platz mehr fand, der durfte gern bei Carola Laubach an den Zaun treten.

Schneeganß stand neben Siebenhaar und wartete, bis die Männer vom LKA unterm Kirschbaum angekommen waren. Nachdem ihn der Dorfgendarm angerufen hatte, war er sofort zu seinem Vorgesetzten geeilt, um sich das Placet einzuholen, das Nötige zu veranlassen. Man hatte keine Sekunde gezögert, zu eindeutig schienen die Fakten.

Vorn am Eingang des Restaurants hing das Schild ›Vorübergehend geschlossen‹, und Wiederschein, seine Frau und das Personal des ›à la world-carte‹ lehnten schweigend am Anbau. Schneeganß musste unwillkürlich an die Wendung denken: Sie wurden kurzerhand an die Wand gestellt. Aber noch war es nicht so weit …

Als Staatsanwalt und Untersuchungsrichter eingetroffen waren, fuhren die Spaten der beiden Männer vom LKA in den Boden, der hart und trocken war. Im inneren Zirkel ging es still und würdig zu, was aber die Zuschauer anging, da plapperte alles und erging sich in witzigen Bemerkungen, und wäre nicht Wiederschein gewesen, der, die Blicke seiner alten Freunde vermeidend, ernst und schweigend vor sich hinsah, so hätte man glauben können, diese Ausgrabung sei Teil des alljährlichen Frohnauer Weinfestes. Angela Wiederschein hatte die Augen geschlossen und murmelte etwas, das Schneeganß wie ein Gebet erschien.

Die Männer mit dem Spaten kamen indes nicht weiter, weil ihnen dicke Wurzeln im Wege waren. »Holt mal jemand ein Beil!«

»Moment!«, rief Schneeganß. »Wenn da einer erst eine Woche liegen soll, dann können die Wurzeln nicht schon wieder nachgewachsen sein.« Damit wandte er sich an Siebenhaar. »Die Frau Laubach soll kommen und uns ganz genau die Stelle zeigen, wo nachts gegraben worden ist.«

Carola Laubach meldete sich von drüben. »Das Grundstück von Herrn Wiederschein betrete ich nicht, das habe ich mir geschworen.«

»Gott, können Leute albern sein«, murmelte Schneeganß. »Dann gehe ich hier mal auf und ab, und Sie rufen ›Halt!‹, wenn ich an der richtigen Stelle angekommen bin.«

»Ja.«

Nun hatte aber Schneeganß Bedenken, hier in aller Öffentlichkeit Ostereiersuchen zu spielen, so mit Zurufen ›Wasser, Wasser‹, wenn man weit entfernt vom Fundort war und sich sogar noch von ihm entfernte, bei ›Kohle‹ kam man ihm näher, und ›Feuer!‹ wurde gerufen, wenn das versteckte Osterei zum Greifen nahe war. »Machen Sie mal«, sagte er deshalb zu Hinz.

Und so ließ sich dann Gisbert Hinz so lange dirigieren, bis Carola Laubach »Halt!« gerufen hatte.

Die beiden LKA-Männer waren so herrlich lakonisch, dass es in Hollywood problemlos zum Oscar für die beste Nebenrolle gereicht hätte. So setzten sie in anderthalb Metern Entfernung von der ersten Stelle zur zweiten Grabung an. Hier war die Erde wesentlich lockerer, was die Vermutung bestätigte, dass an dieser Stelle erst vor kurzer Zeit jemand gebuddelt hatte.

Die herausgeworfenen Schollen wurden immer größer und immer gelblicher, und schnell war eine Grube ausgehoben, die knapp zwei mal zwei Meter messen mochte.

»Vielleicht finden sie hier noch Erdöl«, hörte Schneeganß jemand sagen.

»Eher Kohle«, entgegnete Pfarrer Eckel. »Während der Blockade wollten die West-Berliner oben zur Invaliden-Siedlung hin einen Braunkohletagebau eröffnen, da soll ja wirklich etwas liegen.«

Aber keine Braunkohle wurde zutage gefördert, sondern dicker Lehm. Kein Wunder, denn die Ortschaft hinter Frohnau hieß Glienicke, und Glin war das slawische Wort für Lehm.

Mit einem Male kam der Ruf von einem der LKA-Leute: »Hier liegt wirklich was!«

Schneeganß und die anderen Offiziellen drängten nach vorn. Und siehe da, nicht lange, so war ein Toter aufgedeckt, der zu großen Teilen noch in Kleiderresten steckte. Der Lehm musste alles konserviert haben.

Die Bewegung wuchs, und alle Augen richteten sich auf Wiederschein und seine Frau, die wie versteinert vor sich hinstarrten und nur dann und wann einen scheuen Seitenblick in Richtung Grube taten.

»Nun haben sie ihn!«, murmelten die Leute, wobei Schneeganß nicht klar war, ob sie Schulz als Opfer oder Wiederschein als Mörder meinten.

Eine Pause trat ein, dann fasste Schneeganß Wiederschein und seine Frau am Arm und führte sie dicht an die Grube.

»Und, was sagen Sie nun?«

Wiederschein verzog keine Miene, seine Frau faltete die Hände wie zum Gebet und sagte dann fest und feierlich: »Ich sage, dass dieser Tote unsere Unschuld bezeugen wird.«

Und während sie so sprach, kam der Chef der LKA-Leute zu Schneeganß und sagte, ohne irgendeine Frage abzuwarten, mit kühler Geschäftsmäßigkeit das, was die Sensation des Tages werden sollte.

»Ja, der Tote hier liegt schon lange an dieser Stelle. Ich denke, seit den letzten Kriegstagen, seit April, Mai 1945. Wahrscheinlich ein desertierter deutscher Soldat.«

Kaum dass diese Worte gesprochen waren, so war ihr Inhalt auch schon bewiesen, und jeder schämte sich, so wenig kaltes Blut bewahrt zu haben und die armen Wiederscheins im Vorhinein verurteilt zu haben. Alle nahmen sich vor, es wiedergutzumachen.